Leseprobe: Glutbringer

Es war eine dunkle Gasse, wie es sie zu Dutzenden gab in Porto Armatio. Unrat und Schutt lagen  überall verstreut, dazwischen vergraben die eine oder andere Leiche einer Ratte. Unweit des Hafens waren hier Kontors- und Lagerhäuser aus dem Boden gewachsen, wie Schimmelpilze an einem toten Baumstamm. Niemand schaute hinein, außer den Bettlern und Verzweifelten, die hier einen Schlafplatz suchten oder etwas Essbares. Kurzum – es war der perfekte Ort für Durokk und Branogg.

Die beiden Vettern hatten ihren robusten Wagen vorwärts in die Gasse gefahren, sodass die Pferde kurz vor der rückwärtigen Mauer zum Stehen gekommen waren. Es würde später etwas Arbeit kosten, den Wagen wieder hinauszumanövrieren, aber keiner der Zwerge rechnete damit, schnell verschwinden zu müssen. Sie gehörten zu den Raubfischen in diesem Teich, nicht zu denen, die als Beute infrage kamen. Zumindest waren sie davon überzeugt. Keiner der beiden ahnte, dass die Haie bereits auf dem Weg waren.

„Salz? Ich verstehe diese Menschen nicht“, grummelte Durokk und wuchtete ein weiteres Fass auf die Ladefläche.

„Hmm?“, brummte Branogg fragend.

„Versteh mich nicht falsch, Vetter, ich habe nichts gegen Salz. Die Menschen tun in der Regel viel zu wenig davon in ihr Essen und wenn, dann meist irgendein plattes Pülverchen. Richtiges Mineralsalz, ha! Wenn die Brocken beim Kauen zwischen deinen Zähnen knirschen – ja, das ist schon was.“

„Du weißt, dass der Magister es nicht zum Essen will. Acht Fässer? Damit könnte er eine ganze Rinderherde pökeln.“

Durokk hatte das Fass abgestellt und wischte sich kleine Salzreste von den Händen. „Dass unser Zauberer kein Metzger wird, weiß ich wohl. Na ja, zumindest nicht die Art von Metzger, die frisches Fleisch verkauft.“ Er lachte kurz und dreckig, und Branogg schmunzelte. Dann fuhr Durokk fort. „Er braucht es für seine Zauberdinge, das ist mir schon klar. Aber so viel? Und hättest du gedacht, dass man für Magie Salz braucht?“ Er leckte sich über die Hand. „Ich meine, es schmeckt nicht schlecht. Würzig. Eine Spur Granit. Aber was hat das mit Zaubern zu tun, Vetter?“

Branogg wiegte den Kopf nachdenklich hin und her. „Zauberer sind merkwürdige Leute, das weißt du genauso gut wie ich. Und der Magister Viviorka macht da keine Ausnahme. Sein ganzes Gehabe, seine Selbstgespräche und dieses Ritual, an dem er die ganze Zeit über arbeitet, verbissen wie ein junger Geselle an seinem Meisterstück – gefällt mir alles wenig, Durokk, mein Lieber. Das Gold ist gut, aber manchmal denke ich … na ja, ist auch egal. Er hat jedenfalls eine Menge komischer Ideen, unser Magister, aber die Sache mit dem Salz, da trifft er den Amboss an der richtigen Stelle, wie man so sagt.“

Glutbringer der neue Mythodea-Roman

„Wie meinst du das?“, fragte der andere Zwerg stirnrunzelnd.

„Nun, wenn man sich etwas auskennt und bisweilen mal die Nase in ein Buch und nicht nur in einen Bierkrug steckt“, Branogg warf seinem Vetter einen bedeutsamen Blick zu, bevor er fortfuhr, „dann weiß man, das Salz die Kraft hat, Magie zu schwächen. Stell es dir vor wie nasses Holz. Das brennt auch schlechter als trockenes. Genauso ist es mit Salz und Magie. Wenn Salz ins Spiel kommt, dann wird es für Zauberkräfte schwerer, da durchzukommen. Frag mich nicht, wie das genau funktioniert, aber so soll es wohl sein.“

„Aber Magister Viviorka will doch seinen Zauber nicht erschweren, das macht doch keinen Sinn“, erwiderte Durokk.

Branogg lächelte schief. „Nachdem er beim letzten Versuch einen Teil seines eigenen Hauses in Schutt und Asche gelegt hat, findet er es vielleicht sicherer, wenn er die Magie in bestimmte Bahnen lenken kann, hm? Eine Vorsichtsmaßnahme und keine schlechte, Vetter, denn wir werden wohl in der Nähe sein, wenn der Zauber zu wirken beginnt. Hoffen wir also, dass das Salz etwas nützt“, sagte er und klopfte auf eines der Fässer.

Durokk antwortete nicht. Er wirkte abwesend und schaute die Gasse hinunter.

„Was ist? Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ssscht!“, zischte der andere. Er spähte in die Schatten. „Ich glaube, ich habe etwas gehört.“

„Was denn?“, murmelte Branogg und schaute ebenfalls um sich. Alles schien still und verlassen. „Du irrst dich, Durokk, da ist nichts.“

Sein Vetter schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß nicht, ich war mir ziemlich sicher. Ein leises Scheppern von Metall. So als würde jemand einen Dolch ziehen oder ein Schwert.“ Durokks Hand hatte sich um den Schaft der Armbrust geschlossen, die griffbereit auf der Ladefläche lag. Er stemmte die Waffe auf den Boden, hielt sie mit dem Tritteisen hinunter und spannte die Sehne. Dann griff er nach einem Bolzen.

„Irgendetwas stimmt hier nicht, Vetter“, sagte er grimmig.

„Glutbringer“ der neue Mythodea-Roman. 484 Seiten, 12,90 Euro. Hier bestellbar oder in jeder guten Buchhandlung.

 

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